Biographie:
Kikuji Kawada ist ein japanischer Fotograf. Bekannt wurde der Mitbegründer der Gruppe VIVO und Vertreter einer antinaturalistischen Fotografie vor allem durch seine Auseinandersetzung mit den Spuren des Zweiten Weltkriegs im Nachkriegs-Japan (Chizu. The Map). Seine späteren Werke sind u. a. kunstgeschichtlichen Sujets (Seinaru sekai. Sacré Atavism) oder Motiven aus Astronomie und Natur (Rasuto kosumoroji. The Last Cosmology) gewidmet und verbinden subjektivistischen Stil mit universalistischer Anschauung.
Nach dem Abschluss eines Wirtschaftsstudiums an der Rikkyō-Universität in Tokyo war der fotografische Autodidakt Kikuji Kawada in den Jahren 1955–1959 zunächst für den Verlag Shinchōsha tätig. Seit dem Jahr 1959, in dem ihm der Fuji Photo Salon eine erste Einzelausstellung widmete, wirkt er als freischaffender Fotograf.
In den Jahren 1957–1959 beteiligte er sich an der Ausstellungsreihe „Jūnin no me“ ("Eyes of Ten") in der Konishiroku Photo Gallery, Tokyo. Aus dem Kreis der an diesen Ausstellungen teilnehmenden jungen Fotografen entstand im Jahr 1959 die Kooperative VIVO, deren Mitbegründer Kawada gemeinsam mit Ikkō Narahara, Shōmei Tōmatsu, Eikō Hosoe, Akira Satō und Akira Tanno wurde. Ziel der nur zwei Jahre lang existierenden Gruppe war die Unabhängigkeit von den Konventionen der dokumentarischen und journalistischen Fotografie. Kawada kehrte sich damit schon früh von der realistischen Reportagefotografie ab und entwickelte einen eigenständigen, antinaturalistischen Stil, der den Großteil seines Werks bestimmen sollte.
Von 1967 bis 1969 lehrte Kawada an der Kunsthochschule Tama in Tokyo. Internationale Aufmerksamkeit erlangte sein Werk zunächst vor allem durch die Ausstellung "New Japanese Photography" im Museum of Modern Art, New York (1974).
Im Jahr 1996 erhielt Kikuji Kawada Preise der Fotografischen Gesellschaft Japans und des Internationalen Fotografie-Festivals Higashikawa. Im Jahr 2003 widmete ihm das Tokyo Metropolitan Museum of Photography eine große Retrospektive unter dem Titel Theatrum Mundi, und 2011 verlieh ihm die Fotografische Gesellschaft Japans einen Lifetime Achievement Award für sein Lebenswerk.
Vor Kawadas großen fotografischen Zyklen entstand u. a. die Arbeit The Sea (1959) zum Thema der Kernwaffentestung. Japanische Kinder fotografierte Kawada für die Serie Youth (1960), die noch der zeittypischen, weithin von führenden Fotografen praktizierten humanistisch engagierten Reportagefotografie und insbesondere den Arbeiten von Kawadas frühem Förderer Ken Domon nahesteht.
Im Jahr 1965, zum 20. Jahrestag des Atombombenabwurfs über der Stadt Hiroshima, wurde Kawadas 1959–1965 entstandener Fotozyklus Chizu. The Map in einer vom Grafik-Designer Kōhei Sugiura mitgestalteten Buchausgabe veröffentlicht. Wie schon zuvor in einer Ausstellung unter demselben Titel im Fuji Photo Salon im Jahr 1961 wurden in dem Buch zwei fotografische Serien miteinander verschmolzen, die Spuren der Schrecken des Zweiten Weltkriegs zum Gegenstand haben und zunächst für eine Veröffentlichung in Form zweier separater Bände konzipiert gewesen waren: Die eine Gruppe von Bildern zeigt Ansichten der Ruinen des Ausstellungsgebäudes für Industriegüter in Hiroshima (bekannt als „Atombomben-Dom“, heute Friedensdenkmal in Hiroshima) und von Festungsanlagen an der Bucht von Tokio, Erinnerungsstücke (v. a. Porträts sowie hinterlassene Nachrichten und Gegenstände japanischer Soldaten) aus dem Etajima Museum of Naval History und dem Friedensmuseum Hiroshima sowie Abfälle verschiedenster Art, einschließlich US-amerikanischer Konsumgüter und einer zerknitterten japanischen Nationalflagge. Die andere Gruppe von Bildern besteht ausschließlich aus abstrakt wirkenden Detailaufnahmen der zerstörten Mauern des „Atombomben-Doms“.
Die Rolle des titelgebenden Begriffs „Landkarte“ erweist sich zugleich als symbolisch und metaphorisch. Einerseits zeigt eine der Fotografien einen Ausschnitt einer geschwärzt erscheinenden frühen Karte Japans. Andererseits legt ein der Erstausgabe beigegebener Text von Kenzaburō Ōe eine Assoziation der Erscheinungsbilder der verbrannten, verkrusteten und verwitterten Mauerwerke, die das Werk durchziehen, mit jenen von Landkarten nahe: “I saw a map close to my wounded eyes. While it was nothing but a little piece of ground stained with heavy oil, it really appeared to me like a map of the world full of violence, in which I was to live henceforth.” („Ich sah eine Landkarte dicht vor meinen verwundeten Augen. Obwohl es sich bloß um ein kleines, von dickem Öl beflecktes Stück Boden handelte, erschien es mir wahrlich wie die Karte einer Welt voller Gewalt, in der ich fortan leben sollte.“)
Kawadas Herangehensweise an die Thematik des Werks wurde mit der eines Archäologen verglichen, der die Zeugnisse seiner eigenen Epoche erforscht: “I saw Kawada as an archeologist shifting through the relics of his time. Shards of recent history were uncovered like the remains of a distant age.” („Ich sah in Kawada einen Archäologen, der die Relikte seiner Zeit sichtet. Die Scherben der jüngsten Geschichte traten zutage wie die Überreste eines lange vergangenen Zeitalters.“) (Mark Holborn) Einer drohenden kollektiven Geschichtsvergessenheit des Nachkriegs-Japans, das im Zuge seiner Modernisierung dabei war, die Spuren der Kriegsereignisse zu tilgen, setzte Kawada damit, ähnlich wie Shōmei Tōmatsu mit 11:02 Nagasaki (1966), ein eigenständiges Werk des Gedenkens von großer Intensität entgegen.
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